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  • AutorenbildAnna Maria

Willkommen im Süden

4. - 27. Februar --- 100. - 123. Reisetag

Vier Monate sind seit meiner Abreise vergangen. Ich zog los, mit der naiven Idee, nach sechs Monaten in Sizilien anzukommen, ohne dass sich etwas verändern würde. Wie hätte ich ahnen können, dass mich diese Reise zutiefst bewegen und verändern würde? Wie hätte ich ahnen können, dass sich in drei Monaten alles auflösen kann? Wie hätte ich ahnen können, dass sich mir eine neue Welt offenbaren würde?

In meinem Inneren wusste ich dies alles vielleicht schon, deswegen wollte ich scho so lange diese Reise machen... Doch wenn, war es mir überhaupt nicht bewusst! Wie kann man so vieles sehen, erfahren, lernen, ohne sich Fragen zu stellen? Wie kann man weiterhin verschlossen sein, wenn Menschen, die einem kaum kennen, einem ihr Herz und ihre Seele schenken? Wie kann man nicht an das Gute glauben, wenn man es doch jeden Tag vor Augen hat?

Ich habe gelernt, dass ich nichts weiss. Ich habe gesehen, dass es alles gibt. Ich habe gespürt was es heisst aufgenommen und geliebt zu werden.

Im Süden gibt es mehr Armut, weniger Arbeit, mehr Abfall, weniger Ordnung, weniger Wohlstand. Aber hier, hier haben die Menschen Herz, hier wird gelebt, hier wird geliebt, auf eine Weise die wir im Norden nicht kennen... Ich habe noch nie so starke Gefühle empfunden, weder von Liebe noch von Schmerz... Einen Ort zu finden an dem ich mich augenblicklich zu Hause fühle, erfüllt mich jedes Mal mit unbeschreiblichem Glücksgefühl, doch diesen Ort dann wieder zu verlassen, weiterzuziehen auf meiner Reise, zerreisst mir das Herz. Wie lange ich es noch schaffe, weiterzuziehen, weiss ich nicht. Doch ich weiss dass ich im Süden bleiben will. Er hat mich mit seiner Herzlichkeit gefangen und ich will ihn nicht mehr verlassen, denn hier bin ich glücklich. Ich kann noch so versuchen Euch meine Gefühle zu beschreiben, doch Worte reichen bei weitem nicht aus... Ihr müsst es selber erfahren, um es zu verstehen.


Ich betrat Kampanien als ich den Fluss Garigliano überquerte. Mit mir reiste Francesco, ein Freund aus der Nähe von Latina, mit seiner Stute Stella. Wir folgten den langen, verlassenen Stränden bis kurz vor Neapel. Als wir uns ein wenig vom Meer entfernten, kamen wir in die Städte.

Wir aus dem Norden, haben dieses komische Bild von Kampanien: Neapel. In dieser Region erwartete ich riesige Städte, viel Abfall, Kriminalität, Armut. Als sich mein Projekt mit Simon in Luft auflöste und wir uns trennten, stellte ich mir die Frage, in welcher Region ich mir vorstellen könnte zu bleiben. Apulien, Kalabrien, Basilika, Molise, Abruzzen, Sizilien, sogar Latium. Doch sicher nicht Kampanien, denn was gibt es da schon?

Was für ein falsches Bild ich doch hatte! Ich wurde völlig überrascht... Ja, um Neapel herum ist es dreckig, eine Stadt drängt sich an die andere, die Autokolonnen sind endlos. Doch das wahre Neapel ist wunderschön! Nie hätte ich mit diesen Farben, diesem Leben, dieser Schönheit gerechnet! Und das alles obwohl es regnete, an dem Tag als wir die "Città del Sole" (Sonnenstadt) durchquerten. An den Hängen des Vesuvs, verliessen uns Francesco und Stella, die nach Hause zurückkehren mussten. Obwohl ich sie vermisste, muss ich zugeben dass ich auch wieder die Einsamkeit genoss... Ich verbrachte einige Tage beim Vulkan und umrundete ihn dann auf der Meer-abgewandten Seite. Nach zwei weiteren endlosen Stadt-Tagen, flüchtete ich ins Landesinnere, Richtung Berge. Vor Neapel spielte ich mit der Idee die Amalfi-Küste zu erkunden, doch mit den Pferden ist es sehr schwierig auf der schmalen Küstenstrasse, es gibt sehr wenig Land um zu rasten und ich hätte viel mehr Kilometer zurücklegen müssen.

Als ich mich dagegen entschied, bekam ich jedoch die Gelegenheit mit einem Freund, im Auto, die Küste zu befahren und den "Weg der Götter" zu fuss zu erkunden. Die Pferde liess ich in Castel San Giorgio, bei einem schönen Reithof. Von dort aus ritt ich noch weiter östlich, nach Baronissi. Alles was ich bis dorthin an südlicher Gastfreundschaft erlebt hatte, war nichts im Vergleich zu diesen Menschen und ihrer Herzlichkeit. Ich blieb eine volle Woche dort. Zuerst wegen dem schlechten Wetter, dann weil jeder neue Tag einen neuen Grund zum bleiben mit sich brachte. Schweren Herzens brach ich auf, von einigen Freunden begleitet, um auf den Monte Stella zu gelangen. Dort oben schlief ich in einem Zimmer neben der Kirche. Leider sah ich vom atemberaubenden Panorama nur sehr wenig, da ich vom Nebel begleitet wurde. Nur kurz erhaschte ich einen Blick auf Salerno, die Piana del Sele, die Amalfi-Küste und das Meer.

Beim Abstieg verletzte sich Rhiannon an den Ballen. Etwas war anders an diesem Tag und die Hufschuhe schürften ihm die Haut auf. Da ich so nicht weiter reiten konnte, holten mich meine Freunde aus Baronissi ab und ich verbrachte weitere drei Tage in ihrer Gesellschaft. Rhiannon wurde beschlagen, die Hufschuhe konnte ich ihm nicht mehr anziehen, denn die absolute Genesung der Haut an dieser Stelle dauert leider sehr lange.

Auch dieses Mal flossen Tränen als wir uns verabschiedeten, doch wäre ich nicht in diesen Tagen abgereist, wäre ich nicht mehr gegangen, denn ich wollte bleiben. Mit jedem Tag wurde ich mehr eingebunden in das Leben des Reitstalles und ich hätte die Trennung später nicht mehr verkraftet. Nie, nie werde ich diese Menschen vergessen, die ich so fest ins Herz geschlossen habe in diesen wenigen Tagen: Sabatino, Agostino, Rossella, Sofia, Andrea, Giovanni, und viele mehr....

Ich werde zurückkommen, denn ein Teil meines Herzens ist hier geblieben.

Danach bereiste ich Paestum und Agropoli, und beschritt die schmalen Strassen des Cilento. In Santa Maria di Castellabate, ein wunderschönes Dorf, verweilte ich wieder einige Tage, um die Pferde zu erholen und meine Gefühle zu sortieren...

Viva il Sud!



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