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  • AutorenbildAnna Maria

Von Liebe und Kälte

26. November - 1. Dezember--- 30.-35. Reisetag


Pferd und Reiter, seit der Antike eine sehr tiefe Bindung. Was ich schon lange gespürt zu haben glaubte, überrollt mich nun in seiner ganzen Kraft. In diesem Moment verspüre ich so tiefe Dankbarkeit und Liebe meinen Pferden, vor allem Bamiro, gegenüber, dass ich es kaum zu Beschreiben weiss. Ein Pferd welches, als ich es kennenlernte, nicht entspannt ein Auto kreuzen konnte, schreitet nun ruhig und sicher an der Spitze unsere kleinen Gemeinschaft, inmitten von hupenden Autos, Lastwagen, Fahrradfahrer und Passanten. Blind vertraut er mir in jeder Situation. Und während ich dies niederschreibe kommen mir wieder die Tränen. Welch ein Glück dieses Pferd an meiner Seite zu haben! Welch ein Glück diese Gefühle zu empfinden! Welch ein Privileg dass er mit mir wieder Vertrauen gefasst hat…

Und Rhiannon, den ich noch nicht so lange habe, der mir überall hin folgt, der alle Hindernisse mit Mut und Intelligenz überwindet, der genau weiss wie breit dass er mit den Packtaschen ist, und geschickt genau soviel ausweicht sodass er perfekt hindurchpasst. Ein hoch auf mein Packpferd, er ist absolut fantastisch!

Ich möchte ihnen meine Gefühle vermitteln, trotz dieser anstrengender Reise, es ihnen zeigen, mit jeder vergönnten Pause, jedem Ruhetag, jeder Gabel Heu, jedem Handgriff und jeder Geste. Danke! Danke euch, die ihr mich und meine Habe tragt, die ihr mich dem Himmel, der Erde und dem Horizont näher bringt, die ihr mir unermüdlich in jedes Abenteuer folgt, die ihr mich die Freiheit spüren lässt…


Heute mittag bin ich in der Nähe von Castelnuovo in einem kleinen Stall angekommen. Zum Glück erwartete mich schon Enzo, denn ich kam nass und erfroren an. Den ganzen Tag hatte es geregnet und gewindet, bei etwa 6 Grad. Das erste Mal seit der Abreise hatte ich kein Gefühl mehr in den Händen. Ich wurde seit der Ankunft wunderbar umsorgt, konnte warm duschen und wurde bekocht.

Das erste richtig schlechte Wetter erlebte ich vor ein paar Tagen, als ich aus Versehen die richtigen Leute zur richtigen Zeit traf; kurz vor meiner geplanten Ankunft bei Luca, einem Freund, hielt neben mir ein Auto an. Es beugte sich eine Frau aus dem Fenster und fragte ob ich diejenige sei, die nach Sizilien reise. Ich bejahte und sie erkundigte sich ob ich einen Unterschlupf bräuchte, denn sie hätten einen Stall ganz in der Nähe. Dankend, lehnte ich ab, denn ich war etwa einen Kilometer von meinem Ziel entfernt. Wir verabschiedeten uns und gingen unserer Wege. Doch ich traf sie gleich wieder, und zwar an meinem Zielpunkt! Lachend musste ich feststellen, dass ich die Etappen durcheinander gebracht hatte und dass Luca erst am Ende der nächsten war. Somit blieb ich auf der Lischeto Ranch, half dem netten Paar im Stall und richtete mir später einen Schlafplatz zwischen den Heuballen ein. In der Nacht wurde ich jedoch vom Regen geweckt, den der Wind so fest seitwärts wehte, dass es sogar unter dem Dach nass wurde. Ich musste in die Mitte des Unterstandes fliehen. Dort kuschelte ich mich an Sparta und wir schliefen weiter.

Am Tag danach windete es so fest, dass ich kaum die Regendecken über die Pferde legen konnte. So fest ich sie auch anband, der Wind fuhr hinein und blähte sie auf. Glücklicherweise gewöhnten sich die Pferde schnell daran. Ich traf nach ein paar Stunden bei Gaia ein, die vor Kurzem einen Teil einer riesigen Reitanlage übernommen hatte. Bei ihr blieb ich ein paar Tage, da Bamiro Reibstellen vom Sattelgurt hatte, der durch Regen und Schlamm nicht mehr gut sass. Ich gönnte ihnen die Pause, organisierte einen zweiten Gurt, um abwechseln zu können, und kümmerte mich um den Rekurs meiner Busse. Ausserdem sah ich mir genau die ganze Anlage an, früher ein grosser Springstall, mit Platz für über 70 Pferde. In diesen endlos langen Boxenreihen zu stehen, die verwahrloste professionelle Küche und das auseinander-fallende Festzelt zu sehen, war ein ganz eigenartiges Gefühl: eine Mischung von Traurigkeit, Vergänglichkeit und Unbehagen. Es fehlte so viel Leben, so viel Treiben… Es war wie in einem ausgestorbenen Dorf. Wie kommt es nur dass wir Menschen mit so viel Mühe und Geld solche Anlagen erschaffen und dann leer stehen lassen? Wie kommt es dass so viel Leben auf einmal verschwindet? Was wenn mein eigenes Projekt einmal so endet?

In diese Gedanken vertieft reiste ich wieder ab, und begab mich auf die Francigena, die mich mitten durch das wunderschöne Dorf Fucecchio führte. Nachmittags fand ich im Hinterhof einer Traktorenwerkstatt, zwischen Hühner, Gänsen, Schweinen und einem Pferd, Zuflucht.

Von da aus ritt ich heute im Regen bis nach Castelnuovo.

Stetig sinken nun die Temperaturen, vorgestern konnte ich schon fast das Eis auf dem Schlafsack fühlen (-4°C). Heute Nacht jedoch darf ich den Luxus eines Bettes geniessen.





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